Von Klaus Kurpjuweit
Am Freitag wurde ganz groß gefeiert – zwei Tage vor Aufnahme der Schnellfahrten der Bahn zwischen Berlin und München. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war dabei. Schließlich ist ein großes Werk vollendet – 26 Jahre nach Beginn der Planungen. Als „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“ (VDE) sollte es nach der Wende ganz schnell gehen. Mit einer Fahrzeit knapp unter vier Stunden. Und mit Baukosten von mehr als zehn Milliarden Euro.
Was wurde gebaut?
Der Ausbau war in mehrere Abschnitte aufgeteilt. Bereits seit 2006 ist die Ausbaustrecke für Tempo 200 zwischen Berlin und Halle/Leipzig fertig. Der Umbau des Knotens Halle ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Ende 2015 ging der Neubauabschnitt Leipzig/Halle in Betrieb – mit der längsten Bahnbrücke Deutschlands. Die Elster-Saale-Talbrücke misst 8,6 Kilometer. In Betrieb ist seit 2006 auch der Abschnitt Nürnberg-Ingolstadt, der neu gebaut worden ist, aber nicht zum Verkehrsprojekt Deutsche Einheit gehört. Ihm schließt sich eine weitere Ausbaustrecke bis München an. In Betrieb geht jetzt der anspruchsvollste Teil – die Neubaustrecke zwischen Erfurt und dem bayerischen Ebensfeld bei Bamberg, wo die Gleise sich wieder mit der Stammstrecke vereinigen. Auf dem 107 Kilometer langen Abschnitt durch den Thüringer Wald gibt es 22 Tunnelbauten mit insgesamt 41 Kilometer Länge und 29 Brücken, die zusammen 12 Kilometer lang sind.
Wer profitiert?
Potenziell könnten entlang der gesamten Strecke nach Angaben der Bahn bis zu 17 Millionen Anwohner von der Schnellfahrstrecke profitieren. Klar ist, dass die Fahrgäste Zeit sparen. Statt sechs Stunden sind die Züge zwischen Berlin und München nun nur noch viereinhalb Stunden unterwegs. Sie fahren abwechselnd über Leipzig oder Halle. Die drei Sprinter-Züge je Richtung legen die 623 Kilometer lange Strecke sogar planmäßig in 3.55 Stunden zurück. Sie halten unterwegs nur in Halle, Erfurt und Nürnberg. Ein großer Gewinner ist auch Erfurt, das zum ICE-Knoten ausgebaut worden ist. 80 schnelle Züge halten nun täglich in der thüringischen Landeshauptstadt.
Wer verliert?
Das Nachsehen haben die Städte entlang der Saale. Nach Jena, wo die ICE-Flitzer bisher stündlich hielten, lässt die Bahn nur noch zwei ICE täglich fahren. Mehr Fernverbindungen soll es erst wieder 2023 geben. Sie seien nicht mehr als ein Feigenblatt, kritisiert der Grünen-Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn. Das Nachsehen haben auch Fahrgäste, die bisher bei der – langsamen – Fahrt die Landschaft entlang der Saale und über den Frankenwald genossen. Auf der Neubaustrecke gibt es nicht mehr viel zu sehen. Die Züge rasen meist durch Tunnel oder entlang von Lärmschutzwänden.
Wie ändert sich der Fahrplan?
Die Inbetriebnahme der Neubaustrecke führt zur bisher größten Fahrplanumstellung bei der Deutschen Bahn. Mehr als ein Drittel aller Fernzüge fährt nun nach einem neuen Fahrplan. Von 45 Bahnhöfen in Deutschland fährt ein ICE mindestens ein Mal pro Woche über die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke. Die Fahrplan-Planungen begannen bereits vor zehn Jahren. Üblich ist sonst eine Vorlaufzeit von 18 Monaten. Zwischen Berlin und München sind nun täglich 35 ICE unterwegs. Die Zahl der Sitzplätze insgesamt verdoppelt sich auf rund 20000.
Ändert sich der Preis?
Ja – der Normalfahrschein verteuert sich um 13,6 Prozent von 132 Euro auf 150 Euro. Es gibt aber weiter die üblichen Sparpreise, sofern man ein solches Ticket ergattern kann. Bundesweit erhöht die Bahn die Preise im Fernverkehr um 1,9 Prozent.
Was erwartet die Bahn?
Die Bahn will ihren Anteil am Verkehr zwischen Berlin und München auf 40 Prozent verdoppeln. Dabei will sie vor allem dem Flugverkehr Kunden abwerben. Die Reise von Zentrum zu Zentrum dauert nun mit dem Zug nicht viel länger als mit dem Flugzeug. Aber auch Autofahrer sollen umsteigen, weil der Zug viel schneller ist. Berlin kann dann seine führende Rolle im Bahnverkehr weiter ausbauen. Bereits heute fahren nach Angaben der Bahn rund 17 Prozent aller Reisenden im Fernverkehr von oder nach Berlin. 65000 Fahrgäste zählt die Bahn täglich im Durchschnitt – bei rund 380000 Kunden bundesweit auf der Schiene.
Warum hat es so lang gedauert?
Die meisten Baugenehmigungen waren innerhalb von 18 Monaten erteilt worden. Dennoch dauerte es bis Mitte der 1990er Jahre, ehe auch die Arbeiten an der Neubaustrecke durch den Thüringer Wald begannen – und schnell wieder ausgebremst wurden. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde das Bauen zwei Mal vorübergehend fast eingestellt. Erst 2006 war dann wieder Tempo drin. Pikant: Dem nicht minder umstrittenen Weiterbau der Autobahn durch den Thüringer Wald hatten die Grünen damals zugestimmt.
Was sagen die Kritiker?
Der Bau war von Anfang an umstritten. Gegner wie der Berliner Europaabgeordnete Michael Cramer (Grüne) monierten, der Aufwand für nur wenige Züge am Tag sei unverhältnismäßig hoch. Die Strecke ist zwar auch für den Güterverkehr konzipiert; noch sind aber keine Fahrten bestellt. Der Fahrgastverband Pro Bahn und der Verkehrsclub Deutschland monieren, dass die Anschlüsse an den Regionalverkehr in den Umsteigebahnhöfen oft nicht funktionierten, was zu langen Wartezeiten führe. Wichtiger als neue Strecken sei ein Deutschland-Takt mit kurzen Umsteigezeiten in allen Bahnknoten, sagt auch Stephan Kühn. An einem solchen Fahrplan arbeitet man schon viel länger als an der Strecke Berlin–München.