Bei der schwäb`schen Eisenbahne?

13. November 2003 zur Übersicht

Artikel in der FAZ, Zur Ausstellungseröffnung: "Auf den Spuren der Modelleisenbahn" in der Landesvertretung Baden-Württemberg.

Die Atmosphäre ist wie zu Advent in meiner Jugendzeit: Vor dem Haus wird ein Weihnachtsbaum aufgebaut, drinnen singt ein Kinderchor und auf dem Gabentisch fährt eine elektrische Eisenbahn. Nur handelt es sich heute um die Landesvertretung von Baden-Württemberg, deren Gebäude zu den "30 wichtigsten Sehenswürdigkeiten Berlins" gehört, wie es der Memory-Verlag mit der Vereinsbrille aus dem Ländle sieht.

Die Ausstellung "Auf den Spuren der Modelleisenbahn" projektiert den Glanz des Gebäudes in die Augen der herbeiströmenden Besucher. Das Kind im Manne wird schnell durchbrechen, denn die Firma "Märklin" ist mit den ausgestellten Exponaten ihrer über 100-jährige Geschichte schon etwas Besonderes.

Theodor Wilhelm Friedrich Märklin begann 1859 in Göppingen Spielzeug aus Weißblech herzustellen. Seine Söhne präsentierten 1891 auf der Leipziger Frühjahrsmesse eine uhrwerkgetriebene Modellbahn. Und 1895, zu einer Zeit, als Göppingen noch kein eigenes Stromkraftwerk hatte, wurde die erste mit Spiritus beheizte oder mit Elektrizität betriebene Spielzeugeisenbahn "in Spur 1" gebaut. Der Uhrahn fährt in der Berliner Ausstellung durch eine Winterlandschaft.

Der internationale Durchbruch erfolgte 1935 mit der ersten elektrischen Tischeisenbahn, "Spur H0". In der Landesvertretung lässt die Firma ein Modell dieser Bahn auf einer riesengroßen Anlage verkehren, auf der sich 9 Züge mit 40 Wagen digital gesteuert durch die Berglandschaft mit vielen Eigenheimen bewegen.

Im "Guiness-Buch der Rekorde" und in der Ausstellung auf dem "Vier-Jahreszeiten-Tisch" ist von Märklin die "mini-club" zu finden, im Maßstab 1:220 die kleinste, voll funktionsfähige Modelleisenbahn. Sie stellte 1972 mit 1219 Stunden oder 720 Kilometern den Weltrekord im Dauerfahren auf.

Die Ansprachen waren kurz, weil - so Staatssekretär Willi Stächele in seiner Eröffnungsrede - das wichtigste die Begegnung ist. Außerdem wartete das Buffet mit landestypischen Weinen und Spätzle, wobei Rinder-Goulasch aus verständlichen Gründen nicht serviert wurde.

Die traditionsreiche Bonner Weihnachtsausstellung der Landesvertretung von Baden-Württemberg wird nun in Berlin fortgesetzt. Sie ist bis zum 22.Dezember von Montag bis Freitag für die Öffentlichkeit in der Tiergartenstraße 15 zu besichtigen.

Es ist auch eine kindgerechte Ausstellung, in der die auffallend vielen Kinder auf "Spieltischen" Lokomotiven anfassen, rangieren und fahren lassen können. Das Fühlen der Gegenstände ist für Ausstellungsmacher Peschel ganz wichtig, denn bei dieser autofreien und eisenbahnreichen Ausstellung werden Verhaltensweisen geprägt, die viele das ganze Leben begleiten. Wer als Kind keine Eisenbahn geschenkt bekam, empfand das als Defizit, wie z.B. der frühere Berliner Bausenator Wolfgang Nagel (SPD), der Jahrzehnte darunter gelitten hat. Erst im Alter von 45 Jahren erfüllte er sich den Jugendtraum und spielte im Keller mit "seiner" Eisenbahn. Das war sicherlich förderlich für die Entscheidung der rot-grünen Regierung in Berlin (West), die stillgelegte S-Bahn nicht ins Museum sondern mit Fahrgästen wieder über die Trassen fahren zu lassen.

Der Zusammenhang zwischen jugendlicher Faszination für die Eisenbahn und späterer Nutzung darf als gesichert gelten. Es ist kein Geheimnis, dass die Rekrutierung des Nachwuchses bei den Bahnunternehmen auch ein Ergebnis der Familientradition ist. Die Parkeisenbahn im Freizeit- und Erholungszentrum Wuhlheide (FEZ), mit der Kinder Funktion und Betrieb der Eisenbahn spielerisch gestalten und verantwortungsbewusst ausüben können, diente und dient auch diesem Zweck. Viele Eisenbahner haben im FEZ Wuhlheide den entscheidenden Kick bekommen.

Für die Beschäftigten der BVG ist es ein großes Problem, dass durch den jahrelangen Einstellungsstop die Kinder der Beschäftigten nicht nur keinen Arbeitsplatz mehr bekommen, sondern auch oft eine Familientradition gebrochen wird, weil nach Opa, Vater und Sohn der Enkel den Dienst bei "ihrer" BVG nicht mehr fortsetzen kann.

Will man die parteiübergreifende Forderung der Verlagerung von Personen und Gütern auf die Schiene realisieren, muss Bahnfahren wieder ein Kulturgut werden. Wer hätte denn vor einigen Jahren gedacht, dass heute erwachsene Männer jenseits der 50 mit einem Roller durch die Strassen fahren. Das ist heute doch nicht deshalb zu beobachten, weil man schneller vorankommt, sondern weil es chic und sportlich ist und Mann sich dabei wohl fühlt. In Zürich ist das Bahnfahren wieder eine kulturelle Selbstverständlichkeit geworden. Industriebosse, Bankdirektoren, und auch die Chefs der Verkehrsbetriebe fühlen sich mit dem gemeinen Volk nicht im Stau wohl, sondern in "ihrer" pünktlichen und sauberen Straßenbahn.

Man möchte der Ausstellung wünschen, dass sie für diese auch in Deutschland notwendige Revolution der Mobilitätskultur einen Beitrag leisten kann. Nach dem gescheiterten Klima-Gipfel von Den Haag ist sie mehr als notwendig, um auch in Zukunft Mobilität zu sichern und Lebensqualität zu verbessern.
Die Deutsche Bahn AG als größtes Eisenbahnunternehmen in Deutschland ist von dieser Einsicht leider noch weit entfernt. Erst kürzlich wurde bekannt, dass 500 Führungskräfte neuerdings mit einem Dienstwagen ausgestattet werden sollen. Kein Wunder, dass bei dieser Einstellung des Führungspersonals die Bahn immer öfter auf der Strecke bleibt.