Die riesigen Containerschiffe sind eine Herausforderung für die Seehäfen, aber auch für die Bahnen. Mehr Zusammenarbeit im Hinterlandverkehr ist gefragt, um die Mengen zu bewältigen.
Die Seehäfen sind für den Kombinierten Verkehr (KV) das, was ein nahrhafter Boden für den Anbau von Getreide ist: Hier finden die Bahnen den idealen Ort, um zu wachsen.
Wenn in den Seehäfen die großen Ozeanriesen mit ihren Fassungsvermögen von über 18.000 TEU (20-Fuß-Container) die Flut an Boxen entladen oder aufnehmen, dann ist das für die Bahnen ein gefundenes Fressen. Es ist kein großer Vor- oder Nachlauf mehr notwendig, es kann sofort geerntet werden: Container auf die Waggons oder schnell mit der Ladung in den Hafen rein und abladen, und schon kommt der nächste Zug dran.
Bahnen können in den Häfen ernten
Soweit die schöne Fantasie. Die Realität hingegen sieht anders aus - zumindest ein bisschen. Wahr ist der erste Satz, wonach die Seehäfen zumindest in Deutschland ein wichtiger Umschlagpunkt für die Bahnen sind. "In Hamburg beträgt der Anteil der Bahn 41,6 Prozent im Hinterlandverkehr mit Containern", sagt Thomas Lütje, Direktor Vertrieb beim Terminalbetreiber HHLA. Der Lkw kommt auf 56,3 Prozent, die Binnenschifffahrt auf 2,1 Prozent.
Lütje präsentierte auf dem 2. Internationalen Intermodalkongress, gemeinsam veranstaltet vom BME (Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik) und dem VDV (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen), weitere Zahlen zum Modal Split in den anderen großen Häfen an der Nordseeküste. In Bremerhaven ist der Anteil der Schiene mit 46,4 Prozent sogar noch höher (Lkw: 49,7 Prozent; Binnenschifffahrt: 3,9 Prozent). In Rotterdam hingegen werden nur 10,5 Prozent der Container per Waggon transportiert (mit 53,3 Prozent dominiert der Lkw vor dem Binnenschiff mit 36,2 Prozent). In Antwerpen entfallen nur 7 Prozent auf die Bahn, während der Lkw für 58 Prozent der Containertransporte verantwortlich ist. Das Binnenschiff kommt auf 35 Prozent.
18.000-TEU-Schiffe bereiten Probleme
"Uns kommt die direkte Anbindung an den Rhein zugute", nennt Roland Klein, Repräsentant des Hafens Rotterdams in Deutschland, einen Grund, warum in Rotterdam und Antwerpen das Binnenschiff eine größere Rolle spielt als die Bahn. Beide Häfen unternehmen aber vermehrt Anstrengungen, die Bahn stärker in den Fokus zu rücken. So hat Antwerpen Anfang Oktober eine Ausschreibung veröffentlicht mit dem Ziel, die Anzahl der Bahnverbindungen in die Regionen Rhein-Main/Rhein-Ruhr zu erhöhen.
Doch zurück nach Hamburg: Die Freude über die großen Containerriesen ist begrenzt. Nicht nur, weil der Tiefgang der Elbe ein limitierender Faktor ist. "Es kann nicht sein, dass sich Teile der Supply Chain zulasten anderer in der Kette optimieren", sagt Harald Kreft, Leiter der Hafenbahn bei der Hamburg Port Authority (HPA).
Wenn die Schiffe immer größer werden, können zwar die Reedereien ihre Kosten pro Container senken. Alle anderen Beteiligten im Hafen und im Hafenhinterlandverkehr müssen jedoch ihre Strukturen den Ozeanriesen anpassen. HHLA-Manager Lütje untermauerte diese Aussage mit einem Beispiel: Ein 18.000 TEU-Schiff entlädt bis zu 14.500 TEU. Diese Container würden auf sechs Schiffe im Short-Sea-Verkehr, auf drei Binnenschiffe, 53 Containerzüge und 2640 Lkw verteilt - möglichst schnell, weil der Hafen den Platz für die nächsten Ladungen braucht.Dafür würden die Häfen höhere Containerkräne anschaffen, die aber nur für wenige Zeit benötigt werden. Und im Hinterland müssen die Akteure ihre Kapazitäten auf die wenigen Tage, eher Stunden auslegen, die die Ozeanriesen im Hafen verbringen. "Wenn wir hier uns und die Bahnen im Hinterland optimieren wollen, müssen wir alle mehr miteinander kooperieren", lautet der Appell von Lütje. Das beträfe die Infrastrukturbetreiber genauso wie die verschiedenen Bahnen.
Kritik an Annahmezeiten in der Industrie
Nach Aussage von Lütje gibt es noch Potenzial in der Lieferkette. Er sieht in der Industrie einen entscheidenden Hebel: "24 Stunden sieben Tage die Woche: Das ist in den Häfen und im Transportwesen überhaupt kein Thema", sagt er. "Aber in der europäischen Industrie ist das leider noch nicht angekommen. Wenn der Lkw-Fahrer Pech hat, ist er am Freitag um 15 Uhr am Tor, dort schließt aber die Annahme um 14 Uhr und öffnet erst wieder am Montag um acht", kritisiert Lütje.
Als Verkehrsträger im Hinterland sind die Bahnen gefragt. Das wird an den Aussagen von Lars Kastrup, Direktor bei der Reederei Maersk, deutlich. Kastrup macht auf die Bedeutung des Hinterlandtransports aufmerksam: Bei 83 Prozent der Maersk-Kunden würde bei Auswahl der Reederei der Service im Vor - und Nachlauf eine wichtige oder sehr wichtige Rolle spielen. "Wir wollen, dass unsere Kunden mehr intermodale Leistungen beziehen", sagt Kastrup. Mit einem besseren Service will er sie davon überzeugen, dazu gehört auch ein 24-Stunden-Service.
Zugleich will Maersk effizienter werden. Denn pro Jahr betragen die Kosten bei Maersk für intermodale Transporte und Disposition 2,8 Milliarden US-Dollar. Er führt die hohe Summe unter anderem darauf zurück, dass es an den 125 weltweiten Maersk-Standorten bei den intermodalen Prozessen gravierende Unterschiede gibt hinsichtlich der Produkte, der Organisation, des Marketings und des Umsatzes. Hier strebt er eine Standardisierung, eine einzige Vision über die gesamte Organisation hinweg an.
Maersk macht also intern das vor, was die Botschaft für die Bahnen auf dem Kongress war, wenn sie die intermodalen Verkehre ausdehnen und effizienter gestalten wollen: mehr miteinander kooperieren.
Cramer über die Fehler der Verkehrspolitik:
"Es fließt zu viel Geld in Großprojekte"
Für den Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament, Michael Cramer, gibt es an dieser Aussage nichts zu rütteln:
"Ohne eine andere Mobilität können wir den Klimawandel nicht verwirklichen."
Wie eine solche "andere Mobilität" aussieht, dazu hat der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament klare Vorstellungen: "Das kann nur gelingen, wenn wir den nachhaltigen Verkehrsträgern eine Chance geben." Den intermodalen Verkehr sieht er als einen zentralen Hebel."Doch seine Komplexität macht ihn besonders anfällig für falsche Rahmenbedingungen", sagte Cramer auf dem Intermodalkongress von BME/VDV.
Er kritisiert, dass es in der EU eine verpflichtende Schienenmaut in Form der Trassenpreise gibt, die Maut für Lkw hingegen freiwillig ist. Die Folge: Während 100 Prozent des Schienennetzes bemautet seien, würde nur auf 0,9 Prozent des Straßennetzes eine Gebühr erhoben. "So, hat die Schiene kaum eine Chance gegenüber der Straße", befürchtet Cramer. Er nannte die Schweiz ein "wunderbares Vorbild", weil dort die Maut für Lkw ab 3,5 Tonnen gelte, sie auf allen Straßen erhoben werde und pro Kilometer etwas dreimal so hoch sei wie in Deutschland. Sein Lob an die Schweiz:"Die Schweiz ist so etwas von europäisch. Das kann sie nur sein, weil sie nicht Mitglied der EU ist."Zudem bemängelte der Europa-Abgeordnete die Zustände im internationalen Straßengüterverkehr und sprach von "moderner Sklaverei". Er schilderte ein Beispiel, wonach ein Fahrer aus Rumänien acht Monate in Deutschland unterwegs gewesen sei, aber nur den rumänischen Mindestlohn in Höhe von 250 Euro erhalten habe."Das muss sich ändern und nur wenn sich das ändert, hat die Schiene eine Chance."
Als weiteren Hemmschuh sieht er die Investitionspolitik des Staates an."Es fließt zu viel Geld in Großprojekte", kritisierte Cramer. In der EU stünden für Verkehrsprojekte zwischen 2014 und 2020 26 Milliarden Euro zur Verfügung. Abzüglich der Mittel für den Kohäsionsfonds blieben 15 Milliarden Euro für alle Mitgliedstaaten.
"Wenn die drei Großprojekte Fehmarnbeltquerung, Brenner-Basistunnel und die Eisenbahnachse Lyon -Turin realisiert werden, ist das gesamte Geld weg", sagte Cramer. Kleinere Projekte hätten dann kaum noch eine Chance.