Von Hendrik Kafsack
Nach langem Streit zwischen Europäischer Kommission und Bundesregierung hat der Bundestag eben erst die Einführung der Pkw-Maut beschlossen. Da legt die EU-Kommission schon Vorschläge vor, die auf die Abschaffung der Autobahnvignette hinauslaufen. Bis 2023 sollen die EU-Mitgliedstaaten, die eine Maut erheben, die Straßennutzungsgebühren für Lastwagen an die Strecke knüpfen, die sie zurücklegen. Vier Jahre später soll das auch für alle anderen Fahrzeuge gelten. Das zumindest hat die Kommission am Mittwoch in Brüssel vorgeschlagen. Die Erhebung von Gebühren auf Grundlage der Entfernung - statt wie bei der Vignette abhängig von einem Zeitraum - sei gerechter, begründet die Behörde ihren Vorstoß. Sie spiegle das tatsächliche Maß der Nutzung der Straßen und der erzeugten Umweltverschmutzung besser wider.
Um lange Warteschlangen an Mautstellen zu vermeiden, will die Kommission die Mitgliedstaaten dazu bewegen, die Maut auf elektronischem Wege zu erheben. Dabei sollen alle Staaten auf ein gemeinsames System setzen. "Die Zeit der mit Vignetten zugeklebten Windschutzscheiben ist dann vorbei", sagte die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc. Bis 2027 gebe es ausreichend Zeit, die dafür benötigten Standards zu vereinbaren und die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Eine Pflicht, bis dahin ein einheitliches System einzuführen, sieht der Vorschlag allerdings nicht vor. Ebenso wenig will die Kommission in der gesamten EU eine Maut einführen. Ob sie Straßenbenutzungsgebühren erheben oder nicht, soll nach dem Vorschlag weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.
Berücksichtigen sollen die Staaten bei der Erhebung von Maut nicht nur die Strecke, sondern auch den CO2-Ausstoß der Fahrzeuge. Für klimafreundliche Autos mit Gasantrieb oder Hybridantrieb soll es einen Abschlag auf die Maut geben. Emissionsfreie Fahrzeuge wie Elektroautos will die Kommission mit einer Ermäßigung von mindestens 75 Prozent auf die Maut besserstellen. Auch andere externe Kosten wie Umweltverschmutzung, Lärmbelastung oder Staus können die Mitgliedstaaten nach dem Willen der Kommission künftig bei der Berechnung der Maut berücksichtigen. Bisher ist das bei der Lkw-Maut nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Wenn ein Staat Aufschläge für Staus erhebt, soll er die entsprechenden Einnahmen verwenden, um die Stauursachen zu bekämpfen. Ansonsten ist keine Zweckbindung der Einnahmen vorgesehen. Die Staaten müssen sie nicht für die Instandhaltung der Straßen verwenden.
Der deutsche Verband der Automobilindustrie kritisierte den Vorstoß. Durch die Vorschläge zur Revision der EU-Mautrichtlinie drohten langfristig erhebliche Mehrbelastungen für Bürger und Wirtschaft. Auch der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper warnte vor zusätzlichen Kosten für die Transportbranche: "Wenn die Mitgliedstaaten künftig Lärm-, Umwelt- und Staubelastungen in die Maut einbeziehen können, kann das zu unverhältnismäßigen Belastungen führen." Der Abgeordnete Michael Cramer (Grüne) bemängelte, dass die Einführung einer Maut freiwillig bleiben soll. Das führe zu einem unfairen Wettbewerb zu Lasten des Schienenverkehrs, denn nur ein Prozent der Straßen, aber 100 Prozent des Schienennetzes seien "bemautet".
Sowohl das Europaparlament als auch die Mitgliedstaaten müssen den Reformvorschlägen zur Maut noch zustimmen. Widerstand von der Bundesregierung sei nicht zu erwarten, betonte die Kommission. Schließlich habe Verkehrsminister Alexander Dobrindt im Kompromiss zur Einführung der deutschen Pkw-Maut der Umstellung auf eine streckenbasierte, nach einheitlichen EU-Regeln ausgestaltete Maut zugestimmt. Dobrindt wies das am Mittwoch zurück: "Wir bleiben dabei, dass die Staaten weiterhin die Freiheit haben müssen, zu entscheiden, ob sie zeitbezogene oder streckenbezogene Mautsysteme betreiben. Das werden wir auch gegenüber der Europäischen Kommission deutlich machen", sagte er in Berlin.
Mit dem am Mittwoch vorgelegten "Transportpaket" will die EU-Kommission darüber hinaus den Wettbewerb im Transportsektor fairer ausgestalten. So sollen Lastwagenfahrer, die länger als drei Tage im Monat in einem anderen Mitgliedstaat tätig sind, den dort üblichen Mindestlohn erhalten. Wenn der Fahrer dort neue Ladung aufnimmt und diese innerhalb des Landes transportiert, sollen die Mindestlohnregeln vom ersten Tag an gelten. Weiter ausnehmen will die Kommission allerdings Fahrer, die Deutschland nur im Transit etwa von Polen nach Frankreich durchqueren. Für sie soll nur der Mindestlohn ihres Heimatlands gelten. Kommission und Bundesregierung streiten seit Jahren genau darüber