Fremde Federn: Artikel von Michael Cramer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ vom 26.06.2007)
Die Schweiz beweist, dass eine ökologische Verkehrswende für Wirtschaft und Verbraucher nicht teuer kommen muss und legen Erfolgsmodell vor.
Die Schweiz schrumpft - für all jene, die sich entschließen, im Zug unterwegs zu sein. Die Fahrzeit zwischen Bern und Brig halbiert sich nahezu auf nun 61 Minuten, nachdem der Lötschbergbasistunnel nach 13 Jahren Bauzeit in Betrieb genommen worden ist und den Zügen Spitzengeschwindigkeiten von 250 Stundenkilometern ermöglicht. Das wird auch den europäischen Bahnverkehr deutlich schneller machen. Etwa eine Stunde schneller als bisher werden die Züge aus Deutschland ihre Ziele in Norditalien erreichen. Die Alpen, die Barriere im Verkehr zwischen Nord und Süd, werden dank des 35 Kilometer langen Tunnels durchlässiger. Nicht erst die Klimadebatte der letzten Monate zeigt, dass die Schweizer - anders als ihre Nachbarn - mit der umweltfreundlichen Bahn auf das richtige Verkehrsmittel gesetzt haben. 64 Prozent der wichtigsten Fahrtziele in der südlichen Schweiz werden durch den Tunnel schneller mit der Bahn als mit dem Auto erreichbar sein - derzeit sind es 18 Prozent.
Dass sich die Schweizer teure Tunnel und damit einen schnelleren und leistungsstärkeren Bahnverkehr leisten können, verdanken sie einer klugen Weichenstellung, die die Bevölkerung deren politischen Instanzen 1994 durch eine Volksabstimmung abgerungen hat. Die von LKW-Lawinen geplagten Bewohner forderten, dass die Folgekosten des klimafeindlichen Straßenverkehrs berücksichtigt und die Mittel zum Bau von Straßen gekappt werden.
Seit nunmehr fünf Jahren gibt es deshalb die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die fünfmal so hoch ist wie die deutsche LKW-Maut. Die Berechungsgrundlage für ihre Höhe folgte dabei einer einfachen Frage: Welche Kosten verursacht der LKW-Verkehr für Mensch und Natur?
Die Abgabe gilt auf allen Straßen und für alle Lastwagen. Deshalb gibt es im Alpenstaat keine Verlagerung von großen auf kleine Lastwagen oder von Autobahnen auf Bundesstraßen. 800 Millionen Euro hat die Eidgenossenschaft im Jahr 2005 aus dieser Abgabe eingenommen. Das Geld wurde, wie in den Vorjahren auch, vor allem in den Lötschbergbasistunnel und in die Gotthardachse (geplante Fertigstellung im Jahr 2015) investiert. Damit diese Milliardeninvestition tatsächlich Wirkung zeigt, wurde in der Schweiz ein Baustopp für Autobahnen über die Alpen verfügt, sowie ein Wochenend- und Nachtfahrverbot für Lastwagen angeordnet.
Während in der EU der Güterverkehr auf der Straße seit 1995 um 38 Prozent zugenommen hat, ging die Zahl der Fahrten auf Schweizer Straßen im Nord-Süd-Verkehr um 14 Prozent zurück, im ganzen Land um insgesamt acht Prozent. Das liegt zum einen daran, dass eine ausgeklügelte Logistik Leerfahrten der Lastwagen vermeidet. Zum anderen kommt die gewünschte Verlagerung auf die Bahn voran: Vor Einführung der Maut ging zum Beispiel der Mineralöltransport zu 70 Prozent über die Straße, heute werden 70 Prozent auf der Schiene bewältigt. Die überlegte Verlagerung ließ die Kosten beim Verbraucher lediglich um ein halbes Prozent steigen, obwohl die mautbedingte Verteuerung des Lastwagen-Verkehrs 20 Prozent betrug. Dass eine ökologische Verkehrswende für Wirtschaft und Verbraucher teuer kommen müsse, ist damit bewiesenermaßen ein Trugschluss.
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten brauchen das Rad nicht neu zu erfinden. Sie müssten nur anerkennen, dass die klugen Schweizer ein Erfolgsmodell vorgelegt haben, das den unfairen Wettbewerb zu Lasten der Schiene beseitigt und die finanzielle Unterstützung der umweltschädlichen Transporte beendet. Würde das Schweizer Modell auf Europa übertragen, könnten in zehn Jahren die transeuropäischen Eisenbahnverbindungen fertig gestellt und die Verlagerung tatsächlich gelungen sein.
Deutschland, als Möchtegern-Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel, könnte mit gutem Beispiel vorangehen und die bestehende Lastwagen-Maut auf alle Straßen und auf alle Lastwagen verbindlich ausweiten. Die Einnahmen könnten zur Sanierung und zum Ausbau von Schienenprojekten verwendet werden. Denn wenn die Nachbarn der Schweiz weiter untätig bleiben, verlieren sie den Anschluss und das ehemalige Nadelöhr Alpen würde zum schnellsten und leistungsstärksten Teil des europäischen Schienengüterverkehrs zwischen Nordsee und Mittelmeer werden.