Von Bernhard Veith
Rund 7,6 Millionen Deutsche sind schwerbehindert oder gebrechlich. Tendenz: Steigend. Doch es gibt keinen Grund, sich zu verstecken. Dank einiger EU-Regelungen sind Zugreisen europaweit viel einfacher und komfortabler geworden.
Der Trend ist leicht zu erkennen. Es gibt Reisebüros, die Gruppenreisen für Behinderte in Deutschland und ganz Europa anbieten, sowie Hotels, die sich nur auf diese Klientel spezialisiert haben. Aber nicht nur Gruppenreisen sind im Kommen. Allerdings sollten „Individualreisende“ mit Handicap ihre Reise ins Ausland intensiv vorbereiten, denn es gibt einige Vergünstigungen, die das Reisen erheblich erleichtern. Doch wer gilt als Mensch mit Handicap? Die Europäische Union hat dies klar definiert: Ein Schwerbehindertenausweis mit einem Behinderungsgrad von mindestens 70 Prozent ist die Voraussetzung. Bei bestimmten weiteren Vermerken können auch Begleitpersonen kostenlos mitreisen.
Entsprechende Tickets gibt's telefonisch oder am Schalter
Alle Bahnen haben heute neben Internetportalen auch spezielle Seiten und Rufnummern für Personen mit Handicap eingestellt. Fahrscheine und Reservierungen sollten entweder telefonisch oder am Schalter gekauft werden, denn nur so erhält man die individuelle kostenlose Reservierung und die uneingeschränkte DB-Freifahrt für die Begleitperson. Dort kann man auch noch den kostenlosen Begleit-Service reservieren, der Behinderte bis zum reservierten Wagen und sogar zum Sitz begleitet. In größeren Bahnhöfen stehen Caddys und Hublifte bereit, die Rollstühle in den Zug bringen können.
Wer ins europäische Ausland fahren möchte, dem stehen in den meisten großen Bahnhöfen ähnliche Serviceleistungen wie in Deutschland zur Verfügung. Für diese Fahrt ist aber ein „Nullticket“ für die Begleitperson vorgeschrieben, welches man aber bei der DB problemlos erhalten kann. Laut EU-Leitlinien sollte dieses Nullticket europaweit gelten. Die einzelnen Bahnverwaltungen haben neuerdings aber wieder Einschränkungen eingeführt. Tatsächlich gilt diese Regelung jetzt nur noch für Blinde, die eine Begleitung benötigen. Bei anderen Behinderungen, bei denen eine Begleitung dringend erforderlich ist, sieht es anders aus.
„Das ist unverständlich und nicht im Sinne der EU“, sagt der Verkehrsexperte Michael Cramer (Grüne), ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN) der EU, auf Anfrage. Für andere Behinderte kann ein Begleiter nur dann auf Auslandsreisen unentgeltlich mitreisen, wenn Start- oder Zielort in Deutschland ist und das „Nullticket“ ausgestellt wurde.
Auf Schaffner ist meist Verlass
In der Praxis aber sind Schaffner gerade im Grenzverkehr zu Deutschland kulant. „Ein Kontrolleur im TGV sah mein Schwerbehindertenausweis und fragte mich, ob ich eine Sonnenbrille dabei hätte, was ich bejahte. In seinen Augen war ich dann ‚blind’, und mein Begleiter durfte auch in Frankreich kostenlos mitfahren“, erzählt ein Schwerbehinderter. Doch auf solche Kulanz sollte man nicht immer vertrauen, denn einige Zugbegleiter empfinden die Regelungen zu Recht als kompliziert. Und wenig motivierte Kontrolleure, die schon mal den Fahrgast auffordern, zu Hause zu bleiben, wenn es einem doch so schlecht ginge, dass man mit dem Rollstuhl unterwegs sei, gibt es leider auch heute noch.
Die Bahnsteige sind europaweit größtenteils barrierefrei zugänglich, solange es sich um Bahnhöfe in größeren Städten mit S-Bahn-Systemen handelt. In der Fläche kann es aber böse Überraschungen geben. Die Euro-City-Qualitätszüge, die in Deutschland beginnen oder enden, sind meist mit Behindertenabteil oder Rollstuhlsitzen ausgestattet und entsprechen den EU-Richtlinien. In diesen klimatisierten Zügen, wie beim ÖBB-Railjet, befinden sich Universaltoilette und Handicap-Bereiche immer in der ersten Klasse. Neuerdings bietet auch der private Flixtrain von Stuttgart nach Berlin und von Lörrach nach Hamburg (nicht täglich) vergünstigte Reisen für Behinderte (Begleiter kostenlos) an. Wer ins europäische Ausland fliegen und dort mit dem Zug fahren will, findet in Frankreich, Italien, Portugal, Spanien, Polen und Türkei sehr bequeme Züge vor.
Mit einer sehr guten Vorbereitung kann eine Bahnreise somit auch für Menschen mit Behinderung weltweit sehr genussvoll sein. Wer die entsprechenden Nachweise besitzt, sollte auf eine Begleitperson nicht verzichten. Dies vereinfacht das Reisen erheblich. Einer Reise zu den Kindern, Freunden, Verwandten oder für einen Kurzurlaub steht dann nichts im Wege.